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Tipps zum Übersetzen von Englisch nach Deutsch - Teil 14: Übersetzungs-Minenfelder erkennen und umgehen – was die gesammelten Erfahrungen lehren

Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können.

Die bisherigen Artikel in dieser Reihe:

Teil 1 – Einige grundsätzliche Aspekte des Übersetzens

Teil 2 – Kleinigkeiten mit großer Wirkung

Teil 3 – Die Suche nach dem Sinn

Teil 4 – Von Punkten und Strichen

Teil 5 – Ungleiche Geschwister

Teil 6 – Englisch, Deutsch und Fachchinesisch

Teil 7 – Eine Frage des Gefühls

Teil 8 – Wie konnte das passieren?

Teil 9 – Beziehungsprobleme

Teil 10 – Ein Blick in Nachbars Garten

Teil 11 – Kann das so bleiben?

Teil 12 – Traue dem Autopiloten nicht

Teil 13 – Typographische Tretminen


Dieser vierzehnte Teil weicht ein wenig von seinen Vorgängern ab. Er widmet sich keinem spezifischen Thema, sondern soll noch einmal aus den vorherigen Teilen gewonnene zentrale Erfahrungen in einem kleinen Überblick zusammenfassen – wie eine Pause auf einer Wanderung, bei der man innhehält und zurückschaut auf den Weg, der bereits hinter einem liegt.

Ist so eine Rückschau für uns nützlich? Ich glaube schon – wenn sie kein bloßes Rekapitulieren im "Was haben wir gelernt?"-Stil ist, sondern dazu dient, die Kernpunkte der gewonnenen Erkenntnisse handlich zu kondensieren und zu einem alltagstauglichen Werkzeug zu machen. Versuchen wir das also einfach mal.

Die tückisch lauernden Minenfelder des Übersetzens, mit denen wir es in den vorherigen Teilen zu tun hatten, lassen sich bei genauerer Betrachtung drei Bereichen zuordnen: Inhalt, Form und Geist. Natürlich lassen sich diese Bereiche nicht präzise voneinander abgrenzen. Das soll uns aber nicht kümmern, denn schließlich wollen wir uns ja nicht unrettbar in endlose Detaildefinitionen und  Kategorisierungen verstricken. Was also verbirgt sich hinter diesen drei Bereichen?


Inhalt
sind die Informationen und Konzepte, die der Verfasser des Originaltextes an die Leser weitergeben möchte. Dieser Teil stellt den Übersetzer vor die Herausforderung, die im Text enthaltenen Ideen und Mitteilungen korrekt zu identifizieren und geeignete Mittel zu finden, um sie in einer anderen Sprache so getreu wie möglich zum Ausdruck zu bringen. Die zutreffende Vermittlung des Inhalts ist die zentrale Aufgabe einer Übersetzung. Dementsprechend können hier unter Umständen schon geringfügige Fehler deutliche Auswirkungen haben, wie dieses Beispiel zeigt:

EN-Ausgangstext: The car has several special features, such as: starting from the pedal and vintage horn sound.
DE-Übersetzung: Das Auto verfügt über diverse Besonderheiten wie etwa: angefangen beim Pedal und klassischer Hupton.
Korrektur: Das Auto verfügt über diverse Besonderheiten, beispielsweise das Starten per Pedal und einen klassischen Hupton.

Schon der Satzbau sollte hier erkennbar machen, dass mit "starting from the pedal" nicht "angefangen beim Pedal" gemeint sein kann. Kurze Recherche und ein Blick auf den Kontext, nämlich die Beschreibung eines Oldtimers, hätten dann ergeben, dass es tatsächlich um das Betätigen des Anlassers mittels eines Pedals im Fußraum des Fahrzeugs geht.

Mehrere der bereits vorhandenen Artikel behandeln die korrekten Erfassung und treffende Wiedergabe des Inhalts. In "Die Suche nach dem Sinn" geht es um generelle Aspekte, während sich "Englisch, Deutsch und Fachchinesisch" mit dem Umgang mit Fachsprache befasst. Und schließlich zeigt "Traue dem Autopiloten nicht" auf, wie reduzierte Aufmerksamkeit und inhaltliche Fehlinterpretationen Hand in Hand gehen können.


Form
umfasst alle Aspekte der textlichen Gestalt der Übersetzung. Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung beispielsweise haben hier ebenso ihren Platz wie etwa Datumsformate und Aufzählungsgliederung. Dieser Bereich macht es uns einerseits erfreulich leicht, weil er weitgehend auf festen, verbindlichen Regeln basiert. Andererseits sind die Regelwerke so umfangreich und komplex, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Und so fein das Netz der Regeln auch geknüpft sein mag – man muss stets damit rechnen, auf Zweifelsfälle, Sonderfälle oder Lücken zu treffen, die eigenständiges Abwägen oder Improvisieren erfordern. Doch das Meiste lässt sich glücklicherweise durch verinnerlichte Kenntnis der wichtigsten Regeln oder schlichtes Nachschlagen bewältigen, so wie in diesem Fall:

EN-Ausgangstext: I hadn’t really considered that—do you remember it?
DE-Übersetzung: Das hatte ich gar nicht in Betracht gezogen—erinnerst du dich daran?
Korrektur: Das hatte ich gar nicht in Betracht gezogen – erinnerst du dich daran?

Der lange Geviertstrich (— ) wird im Englischen häufig als Gedankenstrich verwendet. Und obwohl mittlerweile empfohlen wird, einen Gedankenstrich durch Leerzeichen von den angrenzenden Wörtern zu trennen, wird darauf aufgrund überholter, aber noch immer verbreiteter typographischer Konventionen oft verzichtet. Im Deutschen ist der ohnehin nicht gebräuchliche Geviertstrich nicht zulässig und die Leerzeichen sind verpflichtend.

Detaillierter befassen sich mit diesem Thema die Artikel "Von Punkten und Strichen”, wo auf Fragen der Zeichensetzung eingegangen wird, während "Typographische Tretminen" den Blick auf die typographischen Fallstricke lenkt. Und "Beziehungsprobleme" legt dar, welche Bedeutung der korrekten logischen Verknüpfung von Satzelementen zukommt.


Geist
ist die am schwersten fassbare Ebene. Man könnte sagen, dass es hierbei um die Stimmung, die Atmosphäre, die Wahrnehmung des Textes geht. Gewiss, das klingt sehr wolkig und abgehoben – aber die Stolperfallen und ihre Effekte sind durchaus real. Ein Tonfall, der nicht mit dem Thema harmoniert oder der Zielgruppe des Textes entspricht, kann eine Übersetzung ebenso ins Wanken bringen wie eine unangemessene Wortwahl: Ein Artikel über finanzpolitische Regulierungsmaßnahmen sollte sich anderer sprachlicher Mittel bedienen als die Bildschirmtexte einer quietschbunten Spiele-App für Grundschulkinder. Hier den jeweils richtigen Kurs zu finden, erfordert Aufmerksamkeit und Feingefühl – nicht zuletzt, weil viele hierfür wichtige Elemente wie etwa die Nuancen unterschiedlicher Sprachebenen in der Ausgangssprache selbst für erfahrene Übersetzer nicht immer leicht zu deuten sind und weil es oftmals keine direkten Entsprechungen im Deutschen gibt, mit denen sich die angestrebte Wirkung deckungsgleich replizieren lässt:

EN-Ausgangstext: I hope this email finds you in good health.
DE-Übersetzung: Ich hoffe, diese E-Mail findet Sie bei guter Gesundheit vor.
Korrektur: Ich hoffe, es geht Ihnen gut.

Da die englische Sprache nicht auf die Differenzierung zwischen Siezen und Duzen zurückgreifen kann, um die Respekts- und Höflichkeitsebene erkennbar zu machen, übernehmen häufig Floskeln diese Funktion. Doch die direkte Übersetzung dieser Formulierungen wirkt im Deutschen fast immer überladen und unnatürlich, gelegentlich sogar unfreiwillig komisch oder unaufrichtig. Das sind natürlich keine Effekte, die mit dem Originaltext erzielt werden sollten. An diesem Beispiel zeigt sich, wie eine an sich korrekte Übersetzung durch mangelndes Gefühl für den Geist des Originaltextes aus dem Gleichgewicht geraten kann.

Eingehender beschäftigen sich mit diesem Thema die Artikel "Eine Frage des Gefühls", in dem der authentische Klang einer Übersetzung im Mittelpunkt steht, sowie "Ungleiche Geschwister", der zeigt, dass es paradoxerweise gerade die enge Verwandtschaft der englischen Sprache mit der deutschen ist, die zu Dissonanzen in der Wirkung einer Übersetzung führen kann.


Und welche dieser drei Bereiche sind nun am wichtigsten und erfordern beim Übersetzen besonderes Augenmerk? Eine Gewichtung vorzunehmen, ist riskant. Man könnte leicht versucht sein, einen als weniger schwerwiegend eingestuften Bereich zu vernachlässigen. Wir sollten daher grundsätzlich alle drei Bereiche als gleichermaßen wichtig behandeln, weil jeder einzelne von ihnen das Potential besitzt, eine Übersetzung scheitern zu lassen. Denn was nützt es, wenn ein Text inhaltlich mit höchster Perfektion übersetzt wurde, die Leser ihn aber aufgrund von Rechtschreibfehlern als unseriös empfinden und ignorieren?

Und das Fazit dieser kurzen Zusammenfassung? Die entmutigende Folgerung, ein Übersetzer müsse Experte für jedes nur denkbare Thema zu sein, den Duden auswendig lernen und eingehende soziolinguistische Studien der englischen und deutschen Sprache betreiben, wäre natürlich ein maßlos übertriebener, realitätsferner Trugschluss. Vielmehr geht es darum, erkennen zu können, welche Anforderungen eine Übersetzung mit sich bringt und dann den dafür geeigneten Werkzeugkasten zusammenzustellen. Der Wert umfangreicher Kenntnisse ist selbstverständlich gar nicht hoch genug einzuschätzen; doch man sollte sie nicht als Komplettlösung, sondern als solide Grundausstattung betrachten, die einem hilft, die Erfordernisse der jeweiligen Übersetzung zu erfassen und eine darauf abgestimmte Herangehensweise zu entwickeln.

Ich hoffe, diese Überlegungen erweisen sich als hilfreich oder anregend – und Kommentare sind mir natürlich sehr willkommen.

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