Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können.
Die bisherigen Artikel in dieser Reihe:
Teil 1 – Einige grundsätzliche Aspekte des Übersetzens
Teil 2 – Kleinigkeiten mit großer Wirkung
Teil 3 – Die Suche nach dem Sinn
Teil 4 – Von Punkten und Strichen
Teil 5 – Ungleiche Geschwister
Teil 6 – Englisch, Deutsch und Fachchinesisch
Teil 7 – Eine Frage des Gefühls
Teil 8 – Wie konnte das passieren?
Teil 10 – Ein Blick in Nachbars Garten
Teil 11 – Kann das so bleiben?
In diesem zwölften Teil nun möchte ich auf die kleinen, aber dennoch hinterhältigen Risiken des Übersetzens im Autopiloten-Modus eingehen. Und dazu sollte ich zunächst einmal erläutern, was ich damit meine. Beim Übersetzen ist es wichtig, dass wir wissen, was wir tun. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, die wohl für so ziemlich jede Tätigkeit gilt. Aber Übersetzer können zugleich durchaus wissen, was sie tun, ohne genau zu wissen, worum es dabei eigentlich geht. Während etwa ein Automechaniker im Detail mit Konstruktion und Funktionsweise eines Kraftfahrzeugs vertraut sein muss, um etwa einen Motor zu zerlegen und idealerweise anschließend auch wieder zusammenzusetzen, haben Übersetzer den Vorteil, dass sie nicht zwingend mit den Themen vertraut sein müssen, um die es in den von ihnen übersetzten Texten geht. Solche Kenntnisse sind zweifellos von Vorteil, doch ein erfahrener Übersetzer kann zum Beispiel eine inhaltlich korrekte Übersetzung der Gebrauchsanleitung eines Sterilisators anfertigen, ohne ein Spezialist für medizinische Geräte zu sein. Oftmals stellt man nach den ersten Sätzen schon fest, dass ein Text zu einem bestimmten Thema eigentlich keine Herausforderungen stellt, und die Übersetzungsarbeit geht zunehmend geschmeidig von der Hand. Und wenn alles besonders reibungslos läuft, gerät man mitunter in den Autopiloten-Modus, bei dem man gar nicht mehr genau darüber nachdenkt, was man da eigentlich übersetzt, weil ja offenbar keine Hindernisse zu erwarten sind – ähnlich wie ein Pilot, der nach Erreichen der gewünschten Flughöhe dem Autopiloten die anspruchslose Aufgabe überlässt, das Flugzeug über die nächsten 1000 Kilometer schnurgerade durch einen klaren Himmel ohne absehbare Probleme zu steuern. Das kann natürlich schiefgehen, wenn dann wider Erwarten doch einmal ein Problem auftritt – sowohl in der Luftfahrt als auch beim Übersetzen. Plötzlich taucht eine Stelle auf, die doch mehr Aufmerksamkeit verlangt, doch der ganz in seinen trügerisch flüssigen Arbeitsablauf versunkene Übersetzer bemerkt sie nicht einmal, sondern schreibt gewissermaßen sorglos über sie hinweg.
Dann kann schon einmal so etwas geschehen:
EN-Ausgangstext: You can still enjoy access to any of our lounges if you’re flying on an Gulfair-operated flight.
DE-Übersetzung: Sie haben weiterhin Zugang zu allen unseren Lounges, wenn Sie mit Gulfair fliegen - durchgeführter Flug.
Korrektur: Sie haben weiterhin Zugang zu allen unseren Lounges, wenn Sie mit einem von Gulfair durchgeführten Flug fliegen.
Dass das mit einem Gedankenstrich angefügte Anhängsel "durchgeführter Flug" im Gesamtbild keinen Sinn ergab, fiel dem Übersetzer, wohl von der Einfachheit des gesamten vorangehenden Textes zu einer Art schlafwandlerischer Sorglosigkeit verführt, nicht auf.
Noch deutlicher ist dieser Effekt hier:
EN-Ausgangstext: Thank you for reaching out to Reserve with Dooble support.
DE-Übersetzung: Vielen Dank, dass du dich mit dem Dooble-Support an Reserve wendest.
Korrektur: Vielen Dank, dass du dich an den Support von Reservieren mit Dooble wendest.
Es ist ein wenig wie damals in der Grundschule: Es gab immer einige Schüler, die dazu neigten, beim Vorlesen nur die ersten Wörter eines Satzes wirklich zu lesen und dann, weil sie glaubten, den Inhalt dadurch schon erkannt zu haben, den Rest frei interpolierten – was stets zur Mahnung des Lehrers führte: "Nicht raten, lesen!" Wir dürfen beim Übersetzen ebenfalls nicht raten – auch dann nicht, wenn ein Text sich alle Mühe gibt, uns in Sicherheit zu wiegen. Schließlich hoffen die Kunden auf Übersetzungen, nicht auf unbeschwerte Mutmaßungen.
Ein abschließendes Beispiel noch für die Auswirkungen des Autopiloten-Übersetzens:
EN-Ausgangstext: Liquidity for your network’s on / off ramps.
DE-Übersetzung: Liquidität für die Zugänge Ihres Netzwerks (ein / aus).
Korrektur: Liquidität für die On-/Off-Ramps Ihres Netzwerks.
Es ist in diesem Fall gut möglich, dass bei der ursprünglichen Übersetzung nicht einmal ein mit der Materie vertrauter Leser hätte ergründen können, was tatsächlich gemeint ist. Das zeigt, welche Gefahren für die Brauchbarkeit einer Übersetzung bei diesem Phänomen lauern.
Es gilt also, sich nicht blind auf den Autopiloten zu verlassen. Völlig deaktivieren können wir ihn vermutlich nicht – aber wir können uns vergewissern, dass er uns auch nicht in die Irre geführt hat, ehe wir unwiderruflich zur Landung ansetzen. Gerade bei einem längeren Text zu einem Spezialthema, der sich als leichtgängig übersetzbar erwiesen hat, lohnt es sich, die fertige Übersetzung noch einmal mit einer Prise Misstrauen gegenüber dieser scheinbaren Einfachheit durchzugehen. Manchmal merkt man dann überhaupt erst, dass man dem Autopiloten das Steuer überlassen hatte … und dass er hier und da einem etwas eigenwilligen Kurs gefolgt ist.
Ich hoffe, diese Überlegungen erweisen sich als hilfreich oder anregend – und Kommentare sind mir natürlich sehr willkommen.
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