Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können.
Die bisherigen Artikel in dieser Reihe:
Teil 1 – Einige grundsätzliche Aspekte des Übersetzens
Teil 2 – Kleinigkeiten mit großer Wirkung
Teil 3 – Die Suche nach dem Sinn
Teil 4 – Von Punkten und Strichen
Teil 5 – Ungleiche Geschwister
Teil 6 – Englisch, Deutsch und Fachchinesisch
Teil 7 – Eine Frage des Gefühls
Teil 8 – Wie konnte das passieren?
Teil 9 – Beziehungsprobleme
Mit diesem zehnten Teil möchte ich zur Abwechslung einmal die Perspektive wechseln. Warum sollte ich immer nur über das sprechen, was mir bei den Qualitätskontrollen auffällt? Es könnte doch auch ganz interessant sein, mal einen Blick auf das zu werfen, was auf der anderen Seite des Gengo-Gartenzauns geschieht. Möglicherweise hat der Nachbar ja hinter den Ziersträuchern einige Übersetzungsleichen vergraben, die wir im Rahmen einer unterhaltsamen Obduktion wieder ans Tageslicht bringen können.
Manche Übersetzungsfehler darf man als legendär betrachten. Doch Legenden sind bedauerlicherweise keine Tatsachenberichte, ganz gleich, wie häufig sie (mit allerlei Variationen und Ausschmückungen) in Büchern und im Internet als amüsante Fehlleistungen von Übersetzern präsentiert werden. Verräterisch ist oftmals schon, dass die Angaben zur Herkunft und zu den genauen Umständen vage bleiben. Beispielsweise soll der namenlose UN-Delegierte eines nicht genannten französischsprachigen afrikanischen Staates in einer Rede, in der er die Fortschrittlichkeit seines Landes betonen wollte, gesagt haben: "L'Afrique n'érige plus d'autels aux dieux" – Afrika errichtet den Göttern keine Altäre mehr. Aber der für die Transkription zuständige Stenograph interpretierte das als den genauso klingenden Satz "L'Afrique n'érige plus d'hôtels odieux", und so stand im übersetzten Redeprotokoll dann "Afrika baut keine scheußlichen Hotels mehr."
So unterhaltsam diese reichlich vorhandenen urbanen Legenden des Übersetzungswesens auch sein mögen, ich bevorzuge die realen Exemplare. Und von denen gibt es auch – je nach Betrachtungsweise – erschreckend oder erfreulich viele. Besonders ergiebige Ernte verheißt dabei das Feld der Literaturübersetzungen.
So gelten etwa die vor 1987 erschienenen deutschen Fassungen der Werke Rudyard Kiplings – genau, der mit dem "Dschungelbuch" – aufgrund der erstaunlichen Häufung übersetzerischer Fehlgriffe als eher zweifelhaftes Vergnügen. Da wird schon einmal der "mongoose", also der in Indien heimische Mungo, zur "Schnattergans". Dass diese angeblichen Gänse höchst ungänsemäßig in Löchern an Brunnen leben sollen, hat den Übersetzer offenbar nicht zu Zweifeln an seiner Wortwahl bewegt. Einen irischen und einen schottischen Soldaten der britischen Armee ein Gespräch auf Bayerisch und Ostpreußisch führen zu lassen, ist zumindest eine eigenwillige stilistische Entscheidung. Aber längst nicht so eigenwillig wie die Entscheidung, einen Hauptcharakter, der im Original den Spitznahmen "Stalky" trägt – abgeleitet von "to stalk", also "anpirschen" –, im Deutschen mit dem befremdlich zweideutigen Namen "Lange Latte" zu versehen.
Machen wir doch einen kleinen geographischen Sprung von Indien nach Amerika. In John Jakes' episch-melodramatischem Südstaaten-Roman "North and South" (deutscher Titel: "Die Erben Kains") sucht der Held in tiefster Verzweiflung Zuflucht beim Alkohol und betrinkt sich im Original hemmungslos mit "malt" – also mit sehr potentem Whisky aus Gerstenmalz. Der deutsche Übersetzer scheint jedoch mit Spirituosen nicht besonders vertraut zu sein, denn in der der hierzulande veröffentlichten Fassung wurde daraus "Malzbier". Wie genau man sich mit Karamalz bis hin zu wildem Randalieren berauschen kann, bleibt das wohlgehütete Geheimnis des Übersetzers.
Und dann hätten wir da noch die Schöpfungen eines namhaften Autors, Literaturkritikers und gelegentlichen Übersetzers, den ich einfach nur Herrn K. nennen möchte (das soll allerdings keine Brecht-Anspielung sein; der Nachname des Mannes beginnt tatsächlich mit K, und ich möchte mich nicht durch seine unbedachte Offenlegung auf juristisches Glatteis begeben). Herr K. übersetzte nämlich für einen angesehenen Verlag Raymond Chandlers legendären Kriminalroman "The Lady in the Lake" ins Deutsche. Und dabei erwies er sich als ungemein kreativ. Ob amerikanischer Slang, Fachausdrücke oder Chandlers charakteristische lakonisch-ironische Formulierungen – wenn Herr K. etwas nicht verstand (also praktisch das gesamte Buch), ließ er munter seiner Phantasie freien Lauf. Zwei Beispiele gefällig? An einer Stelle wird die Beleidigung "You darn fool!" ausgestoßen – "Sie verdammter Idiot!" Im Amerikanischen ist "darn" ein Euphemismus, durch den man es vermeidet, "damn" zu sagen. Aber Herr K. zog es vor, darin das Verb "to darn" zu erblicken, das sich auf das Flicken von Kleidungsstücken bezieht. Und so wird nun jemand mit "Sie zusammengeflickter Narr!" beschimpft. Doch das verblasst neben einer anderen Stelle, an der ein Polizeiwagen beschrieben wird. Der trägt auf dem Dach "a new air raid horn" – "eine neue Luftschutzsirene", denn der Roman entstand 1943, als in den USA Luftschutzbestimmungen in Kraft waren. Herr K. wusste mit dem Begriff bedauerlicherweise gar nichts anzufangen, und nach Recherche stand ihm wohl nicht der Sinn. Daher befindet sich in seiner Version auf dem Dach des Polizeiautos "ein neues luftgetriebenes Riesenhorn". Ich wüsste zu gerne, was er sich darunter vorgestellt hat.
Was hat uns der Blick über den Zaun nun eingebracht? Vor allem die schöne Erkenntnis, dass selbst unsere von großen Verlagen beschäftigten Vollprofi-Kollegen bisweilen arg danebenliegen. Da fühlt man sich doch gleich viel besser. Außerdem verleiht eine Prise Schadenfreude dem Übersetzerleben etwas zusätzliche Süße.
Ich hoffe, diese kleine Abwechslung von meinen üblichen Artikeln war interessant und vor allem unterhaltsam – und Kommentare sind mir natürlich sehr willkommen.
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