Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können.
In meinem ersten Artikel ging es um einige grundsätzliche Aspekte des Übersetzens, im zweiten um die große Bedeutung kleiner Details. Dieser dritte Beitrag nun befasst sich mit der Frage nach dem Sinn – allerdings nicht auf einer erhabenen philosophischen Ebene, sondern ein wenig bodenständiger.
Im ersten Teil dieser Reihe hatte ich ja dargelegt, dass im Mittelpunkt des Übersetzens die Idee steht, die zum Ausdruck gebracht werden soll. Nehmen wir also an, ein Übersetzer hat sich einen Überblick über den Originaltext verschafft, geht nun mit gutem Grund davon aus, die zentralen Konzepte erfasst zu haben und macht sich an die Arbeit. Die Übersetzung bereitet keine nennenswerten Schwierigkeiten, alles läuft reibungslos. So reibungslos, dass die Aufmerksamkeit nachlässt und man aus der Routine heraus in eine Falle tritt, ohne es auch nur zu bemerken. Das kann dann beispielsweise zu einem solchen Resultat führen:
EN-Ausgangstext: Do you like halva and Turkish delight?
DE-Übersetzung: Mögen Sie Halwa und türkischen Genuss?
Korrektur: Mögen Sie Halwa und Türkischen Honig?
Im Nachhinein ist offensichtlich, was hier geschehen ist: Bis zu diesem Punkt war der Originaltext schlicht und geradeheraus in seinen Formulierungen. Er wartete nicht mit ungewöhnlichen Begriffen, seltenen Eigennamen oder übertragenen Bedeutungen auf. Und für den Übersetzer, der sich mittlerweile voll und ganz auf diesen Textcharakter eingestimmt hatte, gab es keinen Grund, mit einem überraschenden Ausbruch aus diesem Muster Ausschau zu rechnen. Aber dennoch hätte dieser Fehler vermieden werden können, denn schon im Moment des Schreibens sollte auffallen, dass der Ausdruck keinen Sinn ergibt. Und wenn nicht beim Schreiben, dann doch beim anschließenden raschen Durchgehen der Übersetzung. Denn die Frage, ob man „türkischen Genuss“ mag, wäre nur in einem sehr phantasievoll konstruierten Kontext sinnvoll.
Es ist also sehr empfehlenswert, beim Übersetzen eine wichtige Frage nicht aus dem Auge zu verlieren: Ergibt das, was ich gerade schreibe, Sinn? Denn durch Routine, Ablenkung oder Missverständnisse können sich nur allzu leicht Sinnlosigkeiten einschleichen. Das ist auch hier der Fall gewesen:
EN-Ausgangstext: China will not change its zero-covid strategy.
DE-Übersetzung: China wird seine Nullzinsstrategie nicht ändern.
Korrektur: China wird seine Null-Covid-Strategie nicht ändern.
Bei diesem Beispiel fällt es schon etwas schwerer, den Prozess nachzuvollziehen, der zur Fehlübersetzung führte. Der vorangehende Text behandelte gesundheitspolitische Themen, so dass eine eingefahrene inhaltliche Fokussierung nicht der Grund sein kann, wieso aus „zero-covid strategy“ der in jeder Hinsicht sehr unterschiedliche Begriff „Nullzinsstrategie“ wurde. Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte sein, dass der Übersetzer kurz mit den Gedanken abschweifte. Doch auch hier hätte der Fehler beim raschen Überprüfen der Übersetzung auffallen sollen, weil der Satz im Zusammenhang des Textes keinen Sinn mehr ergab.
Natürlich ist jeder Fehler in einer Übersetzung ein Ärgernis. Doch ein abrupter Sinn-Ausreißer kann ein besonderes Problem sein. Denn vielleicht stellt er eine so offensichtliche Abweichung dar, dass er dem Leser als Fehler auffällt und Zweifel an der Zuverlässigkeit des Textes weckt, was natürlich nicht im Sinne des Auftraggebers sein kann – oder er beeinträchtigt die Funktion des Textes, weil er erfolgreich einen Schein-Sinn vorgaukelt. Etwa so wie hier:
EN-Ausgangstext: You need a COVID-19 recovery certificate.
DE-Übersetzung: Sie benötigen eine COVID-19-Wiederherstellungsbescheinigung.
Korrektur: Sie benötigen einen COVID-19-Genesungsnachweis.
Die Ursache dieses Fehlers ist leicht rekonstruierbar. Der Übersetzer wusste mit dem Begriff „recovery certificate“ nichts anzufangen, gab darum „recovery“ bei Google ein und erhielt als primären Übersetzungsvorschlag „Wiederherstellung“. Das ist auch korrekt – wenn es beispielsweise um die Wiederherstellung von Computerdaten geht. Im Kontext von Krankheiten (und dieser Kontext ist hier ja absolut eindeutig) bedeutet das Wort jedoch „Genesung“. Der Übersetzer gab sich aber mit dem ersten Vorschlag zufrieden und erfand kurzerhand die Wortschöpfung „Wiederherstellungsbescheinigung“, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob sie überhaupt Sinn ergibt oder verständlich ist. Und durch ihre staubtrockene bürokratische Normalität gibt sie für den Leser, der den Originaltext nicht kennt, keinen Anlass zum Zweifel daran, dass genau dieser Begriff auch gemeint ist. Dass niemand den in diesem Satz erteilten Hinweis befolgen kann, weil ja kein Dokument dieses Namens existiert, fällt möglicherweise erst später auf und kann zu recht unangenehmen Situationen führen.
Kein Übersetzer ist vor Sinnfehlern sicher, aus welchem Grund auch immer sie entstehen. Doch oftmals kann man sie ganz einfach aufspüren, indem man einen Schritt zurücktritt und die eigenen Formulierungen nochmals aus ein wenig Distanz im Zusammenhang betrachtet. Und nicht selten stechen dann die kleinen Sinnlosigkeiten deutlich heraus. Wenn man beim zweiten Durchlesen über eine kurios unsinnige Wortwahl stolpert und sich fragt „Was, zum Kuckuck, habe ich mir dabei gedacht?“, ist das keineswegs peinlich.
Ich hoffe, diese Überlegungen erweisen sich als hilfreich oder anregend – und Kommentare sind mir natürlich sehr willkommen.
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