Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können. Die bisherigen Artikel in dieser kleinen Reihe finden sich gleichfalls im Forum.
In diesem Teil soll es darum gehen, wie leicht man beim Übersetzen Inhalte und Zusammenhänge aus dem Auge verliert und dadurch Entscheidungen trifft, die zu "lost in translation"-Situationen führen – Stellen, an denen Informationen oder inhaltliche Nuancen durch den Übersetzungsprozess verlorengehen und darum den Leser der Übersetzung nie oder nur verzerrt erreichen.
Das ist etwa in diesem Beispiel geschehen:
EN-Ausgangstext: All capitalized terms used in these Terms have the meanings assigned to them in the Terms of Use.
DE-Übersetzung: Alle in diesen Bedingungen verwendeten großgeschriebenen Begriffe haben die Bedeutung, die ihnen in den Nutzungsbedingungen zugeordnet wurde.
Korrektur: Alle in diesen Bedingungen verwendeten spezifischen Begriffe haben die Bedeutung, die ihnen in den Nutzungsbedingungen zugeordnet wurde.
Im Originaltext war dieser Hinweis durchaus sinnvoll, da ja im Englischen Kleinschreibung den Normalfall darstellt. Wörter mit großen Anfangsbuchstaben zu versehen, ist daher eine einfache Methode, sie hervorzuheben. Doch in der vorhandenen deutschen Fassung ergibt diese Stelle keinen Sinn, weil im Deutschen ausnahmslos alle Substantive und substantivierten Verben und Adjektive groß geschrieben werden. Dieser eigentlich unspektakuläre Fall ist darum interessant, weil hier eine Übersetzung auf einer zweiten Ebene erforderlich ist: Der Satz nimmt auf Eigenschaften des Gesamttextes Bezug, und diese Eigenschaften unterscheiden sich in der Übersetzung grundlegend von denen des Originaltextes. Die bestehende Übersetzung ist zwar in Hinblick auf die getreue Wiedergabe der englischen Vorlage korrekt – doch als Teil der Gesamtübersetzung erfüllt sie ihren Zweck nicht. Was dem Leser eigentlich mitgeteilt werden sollte, fiel so dem "lost in translation"-Effekt anheim. Dieser Umstand hätte dem Übersetzer auffallen sollen.
Etwas anders hingegen liegen die Dinge hier:
EN-Ausgangstext: The Rugby World Cup Sevens, in which both men’s and women’s teams feature with equal billing, will be held in 2026.
DE-Übersetzung: Die Siebener-Rugby-Weltmeisterschaft, bei der Männer- und Frauenteams zu sehen sind und die gleichen Rechnungen stellen, wird 2026 ausgetragen.
Korrektur: Die Siebener-Rugby-Weltmeisterschaft, bei der Männer- und Frauenteams antreten und gleichberechtigt behandelt werden, wird 2026 ausgetragen.
In diesem Fall ist durch die Unkenntnis einer Redewendung eine zentrale Information aus der Übersetzung verschwunden. Man kann förmlich nachempfinden, wie der Übersetzer mit "equal billing" gerungen und schließlich eine Formulierung um die gebräuchlichste Bedeutung von "billing" konstruiert hat. Doch tatsächlich geht es hier nicht um Rechnungen – dieses "billing" leitet sich vom "theatre bill" ab, dem Theateraushang, auf dem die Darsteller genannt waren. Der Star des Ensembles stand natürlich stets ganz am Anfang der Liste, er erhielt "top billing". Traten in einem Stück nun zwei bedeutende Schauspieler von gleichem Status auf, wurden ihre Namen gleichberechtigt nebeneinander gesetzt – sie erhielten also "equal billing". Dieser Begriff fand dann seinen Weg in den allgemeineren Sprachgebrauch, um auszudrücken, dass mehrere Akteure gleiche Beachtung oder Bedingungen erhalten. Dass der Übersetzer in diesem Fall nicht mit dem Ausdruck vertraut war, kann man ihm nicht vorwerfen – schließlich wäre es selbst für einen Muttersprachler unmöglich, alle Redewendungen zu kennen. Doch die Übersetzung, für die er sich entschieden hat, hätte ihn spätestens beim erneuten Lesen stutzen lassen – wieso verbringen Sportteams bei einer Meisterschaft ihre Zeit mit dem Ausstellen von Rechnungen? – und zu weiterer Recherche veranlassen sollen. So aber bleibt den Lesern der deutschen Fassung die im Sport seltene und daher erwähnenswerte gleichgewichtige Behandlung der Frauen und Männer vorenthalten.
Den Abschluss bildet ein Beispiel dafür, dass ein einzelnes fehlübersetztes Wort die Aussage eines Satzes auf etwas bizarre Weise verändern kann, in diesem Falle in einer Produktbeschreibung für eine Videokonferenzkamera:
EN-Ausgangstext: This technology offers a close-up view of the most recent speakers in a conference room and a panoramic view of the entire room.
DE-Übersetzung: Diese Technologie bietet eine Nahaufnahme der neuesten Lautsprecher in einem Konferenzraum und eine Panoramaansicht des gesamten Raums.
Korrektur: Diese Technologie bietet eine Nahaufnahme der letzten Sprecher in einem Konferenzraum und eine Panoramaansicht des gesamten Raums.
Der Fehler ist erklärbar, denn "speakers" können sowohl Lautsprecher als auch sprechende Personen sein. Nicht erklären lässt sich hingegen, wieso dieser Fehlgriff dem Übersetzer nicht gleich in der nächsten Sekunde aufgefallen ist – denn warum sollte es eine Technologie geben, die eigens dem äußerst speziellen und vermutlich nur sehr selten benötigten Zweck dient, im Konferenzraum verteilte topaktuelle Lautsprechermodelle aus nächster Nähe zu zeigen? Was die Kamera stattdessen wirklich kann, erfahren die deutschsprachigen Leser nicht, diese Information wurde von der Übersetzung gänzlich verschluckt.
Dass "lost in translation"-Effekte absolut nicht wünschenswert sind, steht gewiss außer Frage. Aber wie können wir sie vermeiden? Ein Patentrezept dürfte sich schwer finden lassen, da die Ursachen zu vielfältig sind. Doch es empfiehlt sich generell, eine fertiggestellte Übersetzung noch einmal zu so durchzugehen, als sei man ein argloser Leser, der gar nichts vom Übersetzungsvorgang und seinen möglichen Problemen weiß. Und wenn dann an irgendeiner Stelle das unbehagliche Gefühl eintritt, dass die Dinge inhaltlich nicht ganz rund laufen, dass etwas mit der inneren Logik und Sinnhaftigkeit der Aussagen nicht stimmt, auch wenn sie oberflächlich betrachtet völlig korrekt und unverdächtig daherkommen, dann sollte man die entsprechende Formulierung noch einmal genauer unter die Lupe nehmen und überprüfen, ob sie tatsächlich das wiedergibt, was der Originaltext dort mitteilen möchte. Auf diese Weise kann man zwar nicht alle "lost in translation"-Fälle aufspüren – aber es ist in jedem Fall ein Ansatz, der einem hilft, das Gefühl für dieses Problem weiter zu schulen, so dass man mit besserem Rüstzeug in künftige Übersetzungen geht.
Ich hoffe, diese Überlegungen erweisen sich als hilfreich oder anregend – und Kommentare, Fragen und Vorschläge für künftige Artikel sind mir natürlich sehr willkommen.
2件のコメント
Ich freue mich, dass die Reihe fortgesetzt wird :-)
Und mich freut es, dass es dich freut :-)