Hallo, ich heiße Oliver und bin ein Language Specialist für das Gengo-Sprachenpaar EN-DE. Ich möchte über die nächsten Monate in lockerer Folge auf Dinge eingehen, die mir bei GoCheck-Überprüfungen auffallen. Ich hoffe, damit Anregungen und Hilfestellungen bieten zu können.
In meinem ersten Artikel (https://support.gengo.com/hc/en-us/community/posts/6044281716755-Tipps-zum-Übersetzen-von-Englisch-nach-Deutsch-Teil-1) ging es um einige grundsätzliche Aspekte des Übersetzens. Dieser zweite Beitrag hingegen befasst sich beinahe mit dem Gegenteil davon – nicht das große Ganze steht im Mittelpunkt, sondern unscheinbare Kleinigkeiten und ihre unter Umständen erheblichen Auswirkungen.
Einem Sprichwort zufolge verdirbt ein einziger Tropfen Schmutzwasser ein ganzes Fass Honig. Ähnlich verhält es sich auch mit Übersetzungen: Eine inhaltlich korrekte und stilistisch gelungene Übersetzung kann durch allerlei winzige Detailschwächen, die für sich genommen belanglos sind, schnell entwertet werden. Und vor solchen kleinen Fehlern sind auch erfahrene Übersetzer nicht sicher. Sie unterlaufen einem nur allzu leicht, ganz besonders dann, wenn eine gewisse Routine einsetzt und an der Aufmerksamkeit nagt.
Beispielsweise kann man sehr leicht ein Leerzeichen vergessen, wie es etwa hier geschehen ist:
EN-Ausgangstext: Those yield returns were rising to 2.93%.
DE-Übersetzung: Diese Renditen stiegen auf 2,93%.
Korrektur: Diese Renditen stiegen auf 2,93 %.
Bei Prozentzahlen muss im Deutschen zwischen Zahl und Prozentzeichen ein Leerzeichen gesetzt werden, doch in der Übersetzung schloss das Prozentzeichen direkt an die Zahl an. In diesem Fall lag die Ursache des Fehlers übrigens nicht darin, dass der Übersetzer die Regel nicht kannte – der Text enthielt noch weitere Prozentzahlen, bei denen die Leerzeichen korrekt vorhanden waren. Also dürfte die gefürchtete Sekunde der Unaufmerksamkeit der Grund gewesen sein.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass ein solches Detail unwesentlich sei, denn schließlich ist die deutsche Fassung durch das fortgelassene Leerzeichen weder inhaltlich noch in ihrer Verständlichkeit verfälscht worden. Doch das ist nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr beeinträchtigen derartige Details die Art, wie eine Übersetzung wahrgenommen wird. Zu diesem Aspekt werde ich gleich mehr sagen, doch zunächst noch ein weiteres Beispiel für einen isoliert betrachtet unerheblichen Mangel.
EN-Ausgangstext: “This product is a real blessing for my family”
DE-Übersetzung: „Dieses Produkt ist ein wahrer Segen für meine Familie”“
Korrektur: „Dieses Produkt ist ein wahrer Segen für meine Familie“
” ist die HTML-Codierung für ein typographisches rechtes (abschließendes) Anführungszeichen amerikanischen Stils. Beim Übermitteln des Originaltextes durch den Kunden ist dieses Code-Element vermutlich durch einen technischen Fehler als Codekette statt als Zeichen dargestellt worden, was aber für den Übersetzer eigentlich kein Problem darstellen sollte: Im Deutschen werden ohnehin andere Anführungszeichen verwendet, daher hätte dieses Element durch das entsprechende deutsche Anführungszeichen ausgetauscht werden müssen. Doch stattdessen hat der Übersetzer das abschließende deutsche Anführungszeichen auf den direkt in die Übersetzung übernommenen Code folgen lassen. Das Ergebnis würde nach der Weiterverarbeitung so aussehen: „Dieses Produkt ist ein wahrer Segen für meine Familie”“ - am Ende stünden zwei abschließende Anführungszeichen, ein amerikanisches und ein deutsches. Ein Fehler, der am Inhalt nichts ändert, aber dem Leser durchaus auffallen kann. Und er wäre leicht zu vermeiden gewesen – um herauszufinden, wofür ” steht, ist nur eine kurze Google-Suche erforderlich.
Warum aber kommt solchen kleinen Mängeln, die ohne Einfluss auf die Aussagen und die Verständlichkeit von Übersetzungen sind, überhaupt Bedeutung zu? Weil sie stark beeinflussen können, wie ein Leser den betreffenden Text wahrnimmt. Das Vorhandensein solcher Mängel kann darüber entscheiden, ob er die erwünschte Wirkung entfalten kann oder im Gegenteil gar nachteilige Resultate hervorbringt. Das mag unfair erscheinen, doch der Effekt ist real. Nicht zufällig wird bei Diskussionen in Internetforen oftmals ein Teilnehmer dadurch in ein negatives Licht gerückt, dass jemand auf Rechtschreibfehler in seinen Beiträgen hinweist – diese Fehler mögen überhaupt nichts mit den getroffenen Aussagen zu tun haben, aber wirken dennoch diskreditierend und tragen dazu bei, die Glaubwürdigkeit und Autorität des Verfassers zu unterminieren. Bei den Übersetzungen, die wir anfertigen, verhält es sich nicht wesentlich anders. Wenn zum Beispiel ein Präsentationstext, mit dem sich ein Unternehmen an potentielle Kunden wendet, derartige Detailfehler enthält, können diese Fehler beim Leser – ob nun bewusst oder unbewusst – sehr leicht negative Assoziationen hervorrufen: Nachlässigkeit, Unprofessionalität, mangelnde Seriosität, vielleicht sogar den Eindruck, dass das Unternehmen seine potentiellen Kunden nicht ernst nimmt und sich daher keine besondere Mühe gibt.
Wie sehr einige dieser Fehler in der Wahrnehmung negativ konnotiert sind, zeigt sich an einem Fall wie diesem:
EN-Ausgangstext: The Mickey Mouse magazines were really good.
DE-Übersetzung: Die Micky Maus Hefte waren wirklich gut.
Korrektur: Die Micky-Maus-Hefte waren wirklich gut.
Die fehlenden Bindestriche, eine der häufigsten Fehlerarten überhaupt, sind weithin als „Deppenleerzeichen“ bekannt – was sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dass hier Assoziationen im Spiel sind, die ein Übersetzer seinem Auftraggeber auf gar keinen Fall zumuten sollte.
Natürlich ist es auch wahr, dass sehr viele, vielleicht sogar die meisten Menschen über solche Kleinigkeiten einfach hinweglesen und sie weder bewusst noch unbewusst zur Kenntnis nehmen. Doch das darf keine Entschuldigung sein. Detailmängel können wie ein am Schuhabsatz klebendes Stück Toilettenpapier sein, das einem prächtigen Kleid die glänzende Wirkung nimmt. Achten wir also einfach darauf, wohin wir unsere Füße setzen.
Ich hoffe, diese Überlegungen erweisen sich als hilfreich oder anregend – und Kommentare sind natürlich sehr willkommen.
6 comments
Hallo Heike,
das ist in der Tat eine etwas verzwickte Angelegenheit. In Fällen wie den von dir beschriebenen würde ich meistens die Zeichensetzung des Ursprungstextes übernehmen - zumindest dann, wenn es um Satzendzeichen geht. Man weiß ja nie, ob man durch das eigenmächtige Hinzufügen oder Entfernen eines Punktes am Ende ein unerwünschtes Resultat herbeiführt. Alles so zu lassen, wie es ist, stellt unter solchen Umständen meines Erachtens die beste Lösung dar.
Ich selbst sehe das allerdings nicht als unverrückbare Maxime, sondern eher als Richtschnur. Wenn zum Beispiel in einem Text alle Stichpunkte einer Aufzählung jeweils mit einem Punkt abgeschlossen werden (auch diejenigen, die eigentlich keine vollständigen Sätze sind), bei einem oder zwei jedoch der Punkt fehlt, dann gehe ich davon aus, das der Punkt der erwünschte einheitliche Abschluss für alle Zeilen ist, aber durch Unaufmerksamkeit oder Flüchtigkeit hier und dort schlicht vergessen wurde. Dann fühle ich mich selbstgewiss genug, um eigenmächtig den vermuteten angestrebten Zustand in der Übersetzung herzustellen.
Ein etwas anderer Fall liegt vor, wenn durch die strikte Übernahme der Zeichensetzung des Ausgangstexts definitiv die deutschen Regeln verletzt würden. Ich sehe das beispielsweise in Übersetzungen von Untertiteln, die ja meist in jeweils zweizeilige Segmente aufgegliedert werden. Im Englischen, wo man generell gerne die Anzahl der Kommas reduziert, ist es gängig, Kommas am Ende von Segmenten fortzulassen, auch wenn der Text im nächsten Segment fortgeführt wird und das Komma dort stehen müsste, wenn der Text durchgängig geschrieben würde. Im Deutschen ist das Fortlassen des Kommas hingegen nicht korrekt und darf nicht aus dem Originaltext übernommen werden.
Ich glaube, dies ist einfach eines der Gebiete, wo man aufgrund zu vieler möglicher individueller Szenarien kaum eine bindende, eindeutige Regulierung finden kann. Meine vage Richtschnur: Wenn ich mir einigermaßen sicher sein kann, dass ich damit nichts kaputtmache, greife ich dezent verbessernd und vereinheitlichend ein, ansonsten gehe ich lieber auf Nummer sicher und übernehme die Zeichensetzung des Ausgangstextes. Das mag nicht die definitive Antwort sein, die das Problem ein für allemal löst, aber ich hoffe dennoch, dass sie nicht gänzlich nutzlos für dich ist ;)
Viele Grüße
Oliver
Hallo Heike! Das kann ich sehr gut verstehen - ich versuche nach Möglichkeit auch, einen großen Bogen um alles zu machen, worin sich Codefragmente herumtreiben. Der bloße Anblick verursacht mir oftmals schon nervöse Zuckungen ;-)
Hallo Oliver, deine Ausführung zu dem Code finde ich interessant. Ich kann überhaupt nicht programmieren, und wenn ich mich recht erinnere, habe ich Collections, die solche Code-Reste enthalten, immer gemieden, weil sie so schlampig wirken bzw. wie ein Minenfeld für den Übersetzer, der sein gutes Rating behalten möchte ;-)
LoL
Hallo Oliver,
ich habe mal eine Frage. Insbesondere beim Übersetzen von Rückmeldungen und Anweisungen, die eine App dem Nutzer gibt, wenn er einen Prozess durchläuft, kommt es häufig vor, dass die Zeichensetzung des Ursprungstextes in der Workbench grammatikalisch gesehen nicht korrekt ist. Beispielsweise hat ein Satz manchmal keinen Punkt als Zeichen, dass der Satz zu Ende ist, an anderer Stelle in derselben Collection dann aber doch. Im Gegensatz dazu erhalten Wortgruppen, also zum Beispiel Anweisungen, die man im Infinitiv übersetzen kann (und wahrscheinlich auch sollte), manchmal einen Punkt - manchmal dann in derselben Collection aber auch nicht. Viele Übersetzer halten sich in solchen Fällen strikt an die Zeichensetzung des Ausgangstextes, wie man sehen kann, wenn man einen Edit-Job übernimmt. Ich bin mir nie ganz sicher, habe auch nichts dazu in den Style Guides gefunden. Da du in deinem Beitrag beschrieben hast, wie es manchmal dazu kommt, dass aufgrund vorhandenen Restcodes Zeichen doppelt gesetzt werden, hast du vielleicht auch hier eine hilfreiche Antwort.
Viele Grüße
Heike
Nein, überhaupt nicht nutzlos, sondern ganz im Gegenteil - herzlichen Dank!